Prof. Dr. Volker Busch im Interview
„Es gibt kein Alter, ab dem sich ein gesunder Lebensstil nicht mehr lohnt."
Fokussiert denken, weniger vergessen, Krankheiten vorbeugen: Unser Gehirn beginnt zwar früh zu altern, aber anders als gedacht. Was jeder tun kann, um sein Gehirn bis ins hohe Alter jung und möglichst gesund zu halten, zeigt uns Neurologe Prof. Dr. Volker Busch.

Prof. Dr. Volker Busch
Der Neurologe und Neurowissenschaftler ist auch erfolgreicher Vortragsredner und mehrfacher Bestseller-Autor. Sein neuestes Buch: Kopf hoch! Mental gesund und stark in herausfordernden Zeiten (Droemer Verlag).
Wann beginnt unser Gehirn typischerweise zu altern?
„Das Altern beginnt schon mit der ersten Sekunde, ab der wir auf der Welt sind. Zunächst wächst unser Gehirn und produziert unglaublich viele Nervenzellen auf Vorrat, ebenso Synapsen, also die Kontaktstellen zwischen den Nerven. Aber schon ab dem dritten Lebensjahr verändern sich diese Prozesse: Das Gehirn beginnt, einen Großteil der Synapsen und Nervenzellen umzuorganisieren. Es wird zwar Gehirnmasse abgebaut, aber nicht, weil ein geistiger Abbau stattfindet, sondern eine Effizienzstrategie.
Wenn man über das Altern des Gehirns spricht, sollte man es also nicht automatisch mit einem Abbau gleichsetzen. Altern bedeutet hier erst einmal Umorganisation – immer unter der Prämisse, die Gehirnleistung zu verbessern. Wenn wir älter werden, etwa ab 50, 60 Jahren, verlieren wir zwar auch Nervenzellen, aber es finden vorrangig extreme Umstrukturierungen statt. So können wir zwar bestimmte Dinge weniger gut, aber in anderen Bereichen steigen unsere Leistungen.“
In welchen Bereichen steigt denn unsere Leistung mit dem Alter?
„Unsere sprachliche Intelligenz wächst. Der Wortschatz und das Allgemeinwissen steigen, die Fähigkeit zu sprechen, zu reden, Gespräche zu führen. Unsere Intuition nimmt zu, also die Fähigkeit unser Bauchgefühl zu nutzen, weil wir schon viel erlebt haben. Auch kreative Prozesse können sich im hohen Alter entwickeln. Die großen Werke von Alexander von Humboldt oder Ernest Hemingway sind Alterswerke. Es gibt viele Beispiele von Künstlern oder Literaten, die in hohem Alter ihre besten Werke schufen. Verrechnen wir diese Dinge mit den Fähigkeiten, die abnehmen – etwa Reaktionsschnelligkeit oder schnelles Rechnen –, dann kommt es noch lange nicht zum Abbau der Intelligenz.“
20 Prozent des täglichen Kalorien- und Nährstoffbedarfs gehen auf das Konto unseres Gehirns, obwohl es nur 2 % der Körpermasse ausmacht.
Dennoch haben viele das Gefühl, bereits ab den Dreißigern nicht mehr so konzentriert zu sein, fühlen sich nicht mehr so leistungsfähig. Woran liegt das?
„Hier müssen wir unterscheiden zwischen der fluiden und der kristallinen Intelligenz. Die fluide Intelligenz umfasst grundlegende Prozesse des Denkens und ist weitgehend unabhängig von Erfahrung. Die kristalline Intelligenz umfasst die Fähigkeit, erworbenes Wissen anzuwenden. Leider misst kein Mensch seine Intelligenz an der kristallinen Intelligenz, die bedeutet, ein Allgemeinwissen zu haben, kreativ zu sein, Dinge zu überblicken, zu verstehen. Das alles ist schwer messbar und fällt in der heutigen Zeit mit „höher, schneller, weiter“ nicht so sehr ins Gewicht. Aber es ist dennoch ein wesentlicher Teil, um erfolgreich zu sein. Gerade in Situationen, in denen es eng wird, wo Krisenstimmung herrscht, sind es oft die Erfahrenen, denen man sich anvertraut und die mit Gelassenheit Lösungen finden. Der Mensch ist die Summe seiner Erfahrungen. Die kann ein junger Mensch nicht haben.“
Seit Covid-19 mehren sich die Berichte über Menschen, die über Brain Fog oder Gehirnnebel klagen. Eine aktuell im Nature Medicine veröffentlichte Studie zeigt sogar, dass Schädigungen des Gehirns durch Corona einer Hirnalterung von 20 Jahren entsprechen. Wie ist das zu erklären?
„Definitiv nimmt gefühlt die Anzahl derer, die über Brain Fog klagen, zu. Das ist auch meine Alltagsbeobachtung, da mich mehr Patienten darauf ansprechen. Das beweist aber nicht, dass die Symptome zugenommen haben oder mit Corona zusammenhängen. Sondern erst einmal, dass die Menschen zunehmend darüber sprechen. Fakt ist aber, dass Brain Fog ein häufiges Symptom einer Corona-Infektion und von Long-Covid ist. Die postviralen Symptome sind entzündlich bedingt und kommen daher, dass das Immunsystem im Kampf gegen den Erreger überreagiert. Es ist also möglicherweise durch eine Entzündung gegen sich selbst verursacht.“
Dann stimmt auch der Umkehrschluss? Stärkt man sein Immunsystem, stärkt man sein Gehirn.
„Wenn man es nicht zu sehr vereinfacht, dann ja. Mit Sicherheit stimmt: Hat man ein intaktes Immunsystem, kann man postvirale Symptome wie Entzündungen vermeiden oder lindern. Stärken wir unser Immunsystem, verbessert dies die Abwehr von Erregern und trägt dazu bei, dass sich postvirale Zustände wie Entzündungen des Gehirns wieder normalisieren können.“
Wie sieht ein Lebensstil aus, der unser Gehirn bis ins Alter von 80, 90 oder 100 Jahren schützt?
„Vier Dinge sind wesentlich. Erstens: viel Kontakt zu anderen Menschen. Soziale Interaktion hilft, Nervenzellen lange zu erhalten, weil Menschen sich austauschen, sich inspirieren, sich helfen, trösten. In sozialen Kontakten wird ganz viel wirksam, was Menschen lange geistig fit hält. Das zeigen Gesellschaften, wo ältere Menschen Teil der Gesellschaft sind, wie z. B. in Asien. Zweitens: geistige Herausforderungen jeglicher Art. Das heißt, etwas Neues lernen, sich herausfordern, knobeln, ein Handwerk oder neues Musikinstrument lernen. Drittens: Bewegung. Wir können nachweisen, dass Bewegung geistig jung hält. Arbeiten vom Karolinska Institut in Schweden zeigen, dass der Hippocampus, der Ort unseres Gedächtnisses, wieder wächst, wenn wir uns regelmäßig bewegen. Es muss allerdings Sport sein. Langsames Spazierengehen scheint nicht auszureichen. Viertens: eine gesunde Ernährung, die das Gehirn mit allem unterstützt, was Nerven- und Gehirnzellen an Mikronährstoffen benötigen.“
Was raten Sie, wenn bereits Veränderungen da sind. Kann ich in jedem Alter etwas für mein Gehirn tun und ist sogar eine Umkehr möglich?
„Es gibt keinen „point of no return“, an dem eine Rückkehr zum Ausgangspunkt nicht mehr möglich ist und es sich nicht mehr lohnen würde. Natürlich darf man keine Wunder erwarten. Aber die Neigung unseres Gehirns, auf Stimulation zu reagieren, hört nie auf. Es gibt kein biologisches Programm, dass dem Nervensystem seine Fähigkeit ab einem bestimmten Alter nimmt. Je früher wir unser Gehirn mit einem gesunden Lebensstil fördern und stimulieren, umso höher ist auch unsere kognitive Reserve, von der wir dann im Alter profitieren. Daher ist es sinnvoll schon früh etwas für sein Gehirn zu tun, indem wir uns bewegen, lernen, uns sozial gut verknüpfen und gesund ernähren.“
Welche Tipps geben Sie in Sachen gesunde Gehirnernährung?
„Das Allerwichtigste, was viele vergessen, ist zunächst erst einmal genug trinken. Eine gute Flüssigkeitszufuhr ist entscheidend für unsere Gehirngesundheit. Ältere Menschen, die mehr trinken, können schon allein dadurch ihre kognitive Leistungsfähigkeit verbessern. Wenn eine gesunde Ernährung im Alltag schwerfällt, halte ich eine tägliche Nahrungsergänzung mit allen wichtigen Vitaminen und Spurenelementen zudem für sinnvoll, um das Gehirn zu unterstützen.“
Was tun Sie persönlich, um Ihr Gehirn gesund zu halten?
„Wir achten darauf, sehr gemüsebetont zu essen und wir bevorzugen allgemein Vollkornprodukte. Aber wir übertreiben es nicht, ich trinke auch mal ein Glas Rotwein und esse Schokolade. Bewegung ist mir sehr wichtig. Klettern und Wandern in den Bergen, und im Winter muss auch mal das Fitnessstudio herhalten. Um mich geistig fit zu halten, kommt mir mein Beruf zugute, da meine Lernkurve durch meine Bücher, Podcasts sowie neue Patienten täglich steigt. Dennoch suche ich mir immer wieder neue Herausforderungen, die letzte war ein Motorbootführerschein.“
Fazit: 3 Faktoren für ein junges Gehirn
1. Fokus auf gesunde Ernährung
Eine Studie1 zeigt, dass Teilnehmer mit einer gesunden Ernährung einen größeren Hippocampus aufwiesen als Teilnehmer mit durchschnittlicher bzw. ungesunder Ernährung.
2. 20 Minuten Sport täglich
Wer Sport in seinen Alltag intergiert, kann sogar das Wachstum des Hippocampus anregen, wie Studien2 bestätigen. Laufeinheiten führten dazu, dass mehr Blut in den Hippocampus gelangte, wodurch die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen verbessert wurde – möglicherweise mit weiteren positiven Effekten auf den Stoffwechsel des Gehirns, so die Forscher.
3. Mikronährstoffzufuhr optimieren
Die Leistungsfähigkeit des Gehirns kann durch die gezielte Gabe von Mikronährstoffen verbessert und neurodegenerativen Erkrankungen vorgebeugt werden. Das bestätigen Forscher der Columbia University durch umfangreiche Studien3. Anstatt nur einzelne Vitamine zu geben, erhöhten die Forscher gezielt die tägliche Zufuhr aller wichtigen Mikronährstoffe, was zu einer besseren kognitiven Leistung führte. Denn entscheidend ist das komplexe Zusammenspiel der Mikronährstoffe im Körper. Vitamine und Spurenelemente können zudem oxidative Stoffwechselprodukte neutralisieren, sodass die Funktionsfähigkeit der Zellen länger erhalten werden kann.
Autoren- und Buchinformationen
Mehr zu Dr. Volker Busch und seinen Vorträgen finden Sie unter drvolkerbusch.de
Mehr Infos zum Buch, Leseproben & Video: kopf-hoch.online/

- 1)
Jacka FN et al. Western diet is associated with a smaller hippocampus: a longitudinal investigation. BMC Med. 2015 Sep 8;13:215.
2)Hillman CH, et al. The effect of acute treadmill walking on cognitive control and academic achievement in preadolescent children. Neuroscience. 2009 Mar 31;159(3):1044–54.
Maass, A. et al. (2014). Vascular hippocampal plasticity after aerobic exercise in older adults. Molecular Psychiatry.
3)Lok-Kin Yeung et al. Multivitamin Supplementation Improves Memory in Older Adults: A Randomized Clinical Trial, The American Journal of Clinical Nutrition, Volume 118, Issue 1, 2023, Pages 273–282