Prof. Dr. Kleine-Gunk im Interview
„Gesund 100 Jahre alt werden ist realistisch.“
Die Menschheit träumt seit ewigen Zeiten von einem Jungbrunnen. Heute wissen wir: Es ist möglich, die biologische Uhr zu verlangsamen und sogar zurückzudrehen. Das wird umso wichtiger, da unsere Gesellschaft zwar immer älter, aber nicht gesünder wird. Wir haben den führende Anti-Aging-Professor Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk um Rat gefragt, und zeigen Ihnen, was Sie tun können, um Ihr Leben um gesunde Jahre zu verlängern.

Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging Medizin und Bestseller-Autor zeigt in seinem aktuellen Buch „Verjünge deine Gene“ (GU Verlag), wie wir unsere genetische Uhr zurückdrehen.
Herr Kleine-Gunk, Sie unterscheiden zwischen dem Alter in Ihrem Pass und Ihrem biologischen Alter. Was ist der Unterschied?
„Werden wir nach unserem Alter gefragt, geben wir in der Regel das chronologische Alter an, das in unserem Pass steht. Das biologische Alter ist allerdings viel aussagekräftiger, da es den Zustand des Körpers beschreibt. Es kann deutlich abweichen.“
Es gibt Menschen, die 120 Jahre alt werden. Sie scheinen die Natur zu überlisten. Wie machen sie das?
„Sicherlich spielen dabei unsere Gene eine Rolle. Allerdings nur zu maximal etwa 30 Prozent. Viel größer ist der Einfluss unseres Lebensstils. Die sogenannten Centenarians, also die Hundertjährigen dieser Welt, zeigen uns, worauf es ankommt. Zwar leben diese über die Erde verteilt recht unterschiedliche Lebensstile, aber es gibt einige Gemeinsamkeiten.
Unter den Hundertjährigen finden sich z. B. keine Adipösen. Die meisten von ihnen sind noch lange aktiv. Sie haben das Gefühl, gebraucht zu werden, und einen Grund, morgens aufzustehen, einen Ruhestand kennen sie nicht. Natürlich spielt auch die gesunde Ernährung eine Rolle, denn der Griff zu natürlichen, weitgehend pflanzlichen Lebensmitteln verändert wichtige Schaltstellen in unserem Erbgut.“
Also ist eine gesunde Ernährung nicht bloß einfach irgendwie besser – sie programmiert quasi unsere Zellen, unsere Gene, auf gesund?
„Lange dachte man, wir können unsere Genetik nicht beeinflussen, und hätte ich mein Buch „Verjünge deine Gene!“ vor 30 Jahren geschrieben, hätte die Fachwelt mich wohl ausgelacht. Unsere Gesundheit hängt allerdings weniger von der Art unserer Gene ab, sondern vielmehr von ihrer Aktivität. Heute weiß man: Es gibt einen zweiten genetischen Code, die Epigenetik, die das Bindeglied zwischen Umwelt und unserer DNA beschreibt.
Die Epigenetik beruht auf Schaltermolekülen, die auf unserem Erbgut sitzen. Sie bestimmen, welche Gene eine Zelle nutzen kann und welche nicht. Das funktioniert über sogenannte Methylierungen. Mit den Jahren verändert sich das Methylierungsmuster und damit auch, welche Gene angeschaltet bzw. stummgeschaltet werden. Forscher sprechen vom epigenetischen Rauschen, vergleichbar mit einem verpixelten Bild, das sich nicht mehr einwandfrei entziffern lässt.“
Wie genau kann unsere tägliche Kost Gene stummschalten, die mit Entzündungen, Krebs und Alterung in Verbindung stehen?
„Nehmen wir ein Beispiel, um es konkret zu machen: Indem wir uns etwa Brokkoli regelmäßig auf unseren Teller holen, nehmen wir Sulforaphan auf. Dieser sekundäre Pflanzenstoff wirkt in den Zellen als Methylierungsblocker an Tumorsuppressorgenen. Diese werden mit dem Alter üblicherweise vermehrt ausgeschaltet und können ihrer Aufgabe, entartete Zellen zu unterdrücken, nicht mehr nachkommen. Die Pflanzenstoffe aus Brokkoli oder anderen Kreuzblütlern verhindern dieses Ausschalten. So sind die Gene wieder in der Lage, das Zellwachstum zu kontrollieren. Entsprechend hilft eine kluge Zusammenstellung des Speiseplans, dass Gene, die unsere Regeneration fördern, Entzündungen hemmen und uns allgemein gesund halten, häufiger abgelesen werden. Mittlerweile kennt die Epigenetik etliche Nahrungsbestandteile, die das Auslesen unserer Gene aktivieren oder deaktivieren. Dazu zählen vor allem sekundäre Pflanzenstoffe und zahlreiche Mikronährstoffe.“
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Was bringt es mir konkret, wenn ich meinen Teller mit Beeren, Spinat oder Hülsenfrüchten fülle?
„Je öfter wir aus epigenetischer Sicht die richtige Wahl treffen, desto nachhaltiger schreibt sich unser Lebensstil tiefgreifend in unseren Körper ein. Unsere Zellen bauen dann mit der Zeit ein Gedächtnis auf. Mit dem Ergebnis, dass unsere biologische Uhr in unseren Zellen, Geweben und Organen beginnt, rückwärts zu ticken.“
Welche Mikronährstoffe spielen in der Epigenetik eine Rolle?
„Ein Gemüseteller voller Mikronährstoffe aktiviert – oder deaktiviert – andere Erbfaktoren als eine Currywurst. Menschen, die dauerhaft gesund essen, verändern so wichtige Schaltstellen in ihrem Erbgut zum Positiven. Eine herausragende Rolle spielen etwa B-Vitamine, allen voran Folsäure und Vitamin B12, B2 und B6, die an unterschiedlichen Stellen der Methylierungskaskade eingreifen. Auch Magnesium, Vitamin D und Vitamin A besitzen ähnliche Effekte, indem sie Gene leiser oder lauter schalten.“
Wann sollten wir beginnen, für ein gesundes Alter vorzusorgen?
„Es ist nie zu spät, anzufangen und seine Gesundheit zum Besseren zu wenden. Dennoch ist vorbeugen natürlich umso effektiver, je früher man beginnt. Wenn ich mit 70 einen Herzinfarkt erleide, dann zeigen meine Gefäße schon mit 40 die ersten Veränderungen. Wenn ich mit 80 an Alzheimer erkranke, beginnen sich schon um die 50 erste Plaques im Gehirn abzulagern. Das Gleiche, wenn im Alter wegen Osteoporose die Knochen brechen. Bislang ist unser Gesundheitssystem leider noch auf Reparaturmedizin ausgerichtet, daher lohnt es sich, selbst aktiv zu werden und in das eigene Wohlbefinden zu investieren.“
Was ist das Wichtigste, das wir tun sollten, um gesund alt zu werden? Welche kleinen Gewohnheiten sind täglich effektiv und für jeden umsetzbar?
„Schlüpfen Sie in die Turnschuhe. Bewegen Sie sich täglich, sodass Sie etwa auf 150 Minuten pro Woche kommen. Ich empfehle auch gerne einen Hund als Anti-Aging-Maßnahme. Was die Ernährung angeht, muss niemand gleich Vegetarier oder Veganer werden. Orientieren Sie sich an der Grundregel: Was uns gesund hält, steckt in pflanzlichen Lebensmitteln. Neben Vitaminen und Spurenelementen vor allem die gut 30.000 bis 50.000 bisher bekannten sekundären Pflanzenstoffe. Geben Sie Gemüse dabei den Vorrang. Gemüse ist das intelligentere Obst, da Früchte bis auf Beeren in der Regel viel Fruchtzucker enthalten. Wenn nötig, kann eine Ergänzung die Ernährung unterstützen.“
Welchen Unterschied kann eine Ergänzung mit Mikronährstoffen bewirken?
„Es ist ein Unterschied, ob man optimal oder neben nur ausreichend versorgt ist. Aus Schulzeiten weiß jeder noch, was „ausreichend“ bedeutet, nämlich, gerade noch so okay. Das reicht aber nicht unbedingt, um vorzubeugen. Immer dann, wenn wir es nicht schaffen, alle gesunden Stoffe täglich über die Ernährung aufzunehmen, macht es daher Sinn, die eigene Ernährung mit zusätzlichen Mikronährstoffen zu unterstützen.“
Wie sehr freuen Sie sich auf das Älterwerden?
„Sehr sogar. Ich stecke ja im Grunde schon mitten im Älterwerden drin. Als mich Kollegen fragten, was ich denn nach meinem 65. Geburtstag machen werde, habe ich nur gelacht, denn für mich steht fest: Ich arbeite weiter, solange es geht, am liebsten noch die nächsten 30 Jahre.“