Zum Inhalt springen
lavita.com
Interview
17.11.20258 Min. Lesedauer

Dr. Judith Bildau

Raus aus dem Hormonchaos – so bleiben Frauen lange gesund

Lange Zeit wurde in der Medizin kaum beachtet, dass Frauen anders erkranken als Männer und oft andere Anzeichen zeigen. Neue Erkenntnisse zeigen, was Frauen wirklich brauchen, um lange gesund und leistungsfähig zu bleiben. Unsere Expertin Judith Bildau erklärt, worauf es in der Praxis - und im Alltag - ankommt und welche Faktoren einen entscheidenden Unterschied machen.

 
 
 

Dr. med. Judith Bildau

Gynäkologin und Hormonexpertin Dr. med. Judith Bildau lebt mit ihrer Familie in Rom, praktiziert dort in ihrer eigenen Praxis, in der sie Frauen möglichst ganzheitlich versorgen möchte. Wie ein ausgeglichener Hormonhaushalt uns Gesundheit und Wohlbefinden bringt, zeigt sie auch in ihrem neuesten Buch „Raus aus dem Hormonkarussell“ (GU Verlag).

 
 

Frauenspezifische Medizin - was steckt hinter diesem neuen Begriff?

Frauen wurden in der Medizin jahrhundertelang vernachlässigt und das mit fatalen Folgen. Sowohl in der medizinischen Diagnostik als auch in der Behandlung sowie der pharmakologischen Forschung spielten Frauen viel zu lange eine nur untergeordnete Rolle. Das müssen wir dringend ändern und deswegen müssen wir über Frauengesundheit sprechen.

Viele Frauen klagen, sie fühlen sich unwohl, werden aber vom Arzt nicht richtig ernst genommen. Woran liegt das?

Das ist eine gute Frage. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Frauen viel häufiger psychologische Ursachen für Beschwerden angenommen werden als bei Männern. Nach dem Motto „Frauen jammern halt gerne“. Das ist schlimm. Besonders erschrocken hat mich eine Untersuchung, die gezeigt hat, dass Frauen nach einer Operation häufiger Beruhigungsmittel bekommen, Männer dagegen Schmerzmittel. Es ist also ganz wichtig, dass wir Ärzte und Ärztinnen uns dahingehend überprüfen und diese alten Denkmuster endlich aus unseren Köpfen streichen und Frauen jederzeit eine adäquate Therapie zukommen lassen.

Lange ging die Medizin davon aus, dass Krankheiten bei Männern und Frauen identisch verlaufen. Doch heute weiß man, dass es Unterschiede gibt. Welche sind das und woher kommen die unterschiedlichen Ausprägungen bei Männern und Frauen?

In der Medizin war jahrhundertelang der „weiße Mann“ der medizinische Standard. Diagnosen, Therapien und auch die Forschung wurden nach ihm ausgerichtet. Heute wissen wir, dass Frauen mitunter ganz anders erkranken als Männer. Zunächst einmal sind sie häufiger von Autoimmunkrankheiten betroffen. Das scheint genetische und auch hormonelle Gründe zu haben.  Zudem zeigen Frauen bei einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall meist ganz andere Symptome. Das Problem: In der medizinischen Ausbildung erfolgt die Lehre nur am männlichen Beispiel. Deswegen erhalten Frauen die Diagnose häufig später und nicht die dringend notwendige Therapie. Auch viele Medikamente wirken bei Frauen völlig anders. Das liegt mitunter an der unterschiedlichen Verteilung von Fett- und Muskelmasse, unterschiedlichen Stoffwechselfunktionen von Männern und Frauen, aber auch an den unterschiedlichen Hormonspiegeln. Da Frauen in den pharmakologischen Studien in den letzten Jahrzehnten allerdings völlig vernachlässigt wurden, aber trotzdem nach wie vor die gleichen Medikamente erhalten, haben sie deutlich häufiger, mitunter schwerwiegende, Nebenwirkungen.

Inwiefern spielen die Hormone der Frau eine Rolle?

Weibliche Sexualhormone spielen tatsächlich eine entscheidende Rolle. Viele denken bei Hormonen leider noch immer an die „klassischen“ Beschwerden wie Hitzewallungen, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen. Dabei haben fast alle Beschwerden, die bei Frauen ab Mitte 30 auftreten, auch etwas mit den Hormonen zu tun. Besonders neu aufgetretene Knochen- und Gelenkschmerzen, Konzentrationsstörungen, Tinnitus, Hörprobleme, Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte und Schilddrüsenveränderungen oder Unverträglichkeiten werden oft nicht richtig gedeutet. Nehmen wir das Beispiel Histaminintoleranz. Viele Frauen leiden unter einer Östrogendominanz, vor allem Frauen ab Mitte, Ende Dreißig sind davon betroffen. Östrogen wirkt stimulierend auf die Histamin-ausschüttenden Mastzellen, Progesteron dagegen stabilisierend. Besteht eine relative Östrogendominanz bei vorhandenem Progesteronmangel kommt es schnell zu einer erhöhten Histaminspiegel und damit verbunden zu einer Histaminintoleranz. Typischerweise berichten Frauen in diesem Alter, dass sie plötzlich keine histaminhaltigen Lebensmittel mehr vertragen. Viele haben einen hohen Leidensdruck, das ursächliche Problem wird allerdings nicht behoben.

 
 

Unser Körper zeigt uns, ob unsere Hormone in Balance sind, u. a. an:

  • unserem Gewicht

  • dem Schlaf

  • unserer Konzentration

  • der Psyche

  • Unverträglichkeiten

  • den Knochen und Gelenken

  • unserem Herz-Kreislauf-System

  • Blutfetten und Blutzucker

  • unseren Darm

  • Haut und Haaren

 
 

Was raten Sie Frauen, die etwas für Ihr Hormon-Gleichgewicht tun möchten? Womit sollten sie anfangen?

Das Wichtigste ist, zunächst einmal zu verstehen, welche Beschwerden hormonell bedingt sind. Das können nämlich ziemlich viele sein, wie zum Beispiel verstärkte Allergien, Schlafstörungen, Wassereinlagerungen, Knochen- und Gelenkschmerzen und Migräne. Um hormonausgleichend zu arbeiten, dienen Phytopharmaka, eine gezielte Ernährung und Mikronährstoffzufuhr oder die Gabe von (bioidentischen) Hormonen. Auch ein gesunder Darm ist hier übrigens enorm wichtig, da er eine hormonregulierende Funktion hat!

Warum reicht eine gesunde Ernährung nicht immer aus?

Leider ist unsere alltägliche Ernährung heutzutage oft sehr energiereich, aber auch nährstoffarm. Dadurch nehmen wir nicht die Menge an Mikronährstoffen auf, die wir benötigen und kommen rasch in einen Mangel. Manchmal liegt es aber auch gar nicht am Essen, wie zum Beispiel beim Vitamin D. Das produziert unser Körper bei UV-Einstrahlung. Da wir uns häufig in Innenräumen aufhalten und uns nicht ausreichend draußen bewegen, sind wir, besonders in den Herbst- und Wintermonaten, auf eine zusätzliche Zufuhr angewiesen.

Welches Potential sehen Sie in einer ausgewogenen Ernährung und einer optimierten Mikronährstoffversorgung?

Das ist meiner Meinung nach die perfekte Grundlage für ein gesundes und energiegeladenes Leben, aber auch eine wichtige Präventionsmöglichkeit für das gesundes Älterwerden.

 
 

Weniger Kalorien, mehr Nährstoffe

Ab der Lebensmitte benötigen wir aufgrund des verlangsamten Stoffwechsels rund 300 Kilokalorien weniger als in den Zwanzigern. Das bedeutet nicht, dass jetzt auf Genuss verzichtet werden soll. Der Schlüssel liegt in der Auswahl der Lebensmittel: die Nährstoffdichte sollte besonders hoch sein, um weiterhin optimal vorzubeugen. Das gilt besonders, wenn der Mikronährstoffhaushalt durch Anti-Baby-Pille, Hormonpräparate, Medikamente oder Belastungen zusätzlich erhöht ist.

 
 

Wenn Sie ein Fazit ziehen: Haben wir wirklich die Würfel in der Hand, wenn es darum geht, auch mit 90 noch gesund und fit zu sein?

Ja, das haben wir. Wir bekommen eine „genetische Grundausstattung“ mit auf unseren Weg. Dennoch liegt es an uns, was wir daraus machen, wie gesund und wohlwollend wir mit unserem Körper und unserer Seele umgehen. Das liegt in unserer Verantwortung und wir können sehr viel dafür tun, dass wir mit 90 Jahren noch fit und gesund sind.

Was sollten wir gleich heute als Erstes für unsere Gesundheit tun?

Wir sollten heute unbedingt darauf achten, was wir essen und wie wir uns mit Nahrungsmitteln etwas Gutes tun können. Und natürlich auf jeden Fall eine Bewegungseinheit in unseren Tagesablauf einbauen.

Vielen Dank für das Gespräch!

 
 

Autoren- und Buchinformation

Mehr zu Dr. Judith Bildau und ihren Büchern finden Sie hier: https://www.dr-med-judith-bildau.com/

Mehr Infos zum Buch mit Leseprobe hier