Tobias Homburg im Interview
Gelenk-Beschwerden sind kein Zufall – Experte verrät die Ursachen dahinter
Steife Gelenke, verkürzte Muskeln und eingeschränkte Beweglichkeit – das muss nicht sein. Neue Forschung zeigt, dass Gelenk- und andere Bewegungsbeschwerden nicht nur eine Frage der Abnutzung sind, sondern eng mit Entzündungen und Nährstoffen zusammenhängen. In unserem Interview verrät Physiotherapeut Tobias Homburg, welche Mikronährstoffe Knochen und Knorpel stärken, wie Sie mit gezielter Ernährung Entzündungen reduzieren und mit einfachen Übungen Ihre Beweglichkeit langfristig erhalten.
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Tobias Homburg
ist leitender Physiotherapeut der deutschen Biathlon-Nationalmannschaft und betreibt eine eigene Praxis in München. Er ist Autor des erfolgreichen Ratgebers "Arthrose endlich heilen" (GU Verlag).
Herr Homburg, viele Menschen denken: Sitzen macht unseren Bewegungsapparat kaputt. Sie sagen aber: Sitzen allein ist nicht das Problem. Warum?
„Sitzen ist definitiv ein großes Problem – vor allem, wenn wir über längere Zeiträume hinweg unbeweglich verharren. Hier empfehle ich sogenannte Sitzpausen: Alle 30 Minuten eine Minute intensive Bewegung und dann direkt weiterarbeiten. Besonders im Homeoffice lässt sich das gut umsetzen. Doch natürlich ist das allein nicht die Lösung. Auch Ernährung und Mikronährstoffe spielen eine entscheidende Rolle für unseren Bewegungsapparat. Eine entzündungsfördernde Ernährung in Kombination mit einer dauerhaften Immunaktivierung kann zu unterschwelligen Entzündungen führen, die den Gelenken langfristig schaden – insbesondere, wenn zusätzlich ein Nährstoffmangel vorliegt.“
Wie genau wirken Entzündungen auf unseren Körper und den Bewegungsapparat?
„Grundsätzlich sind Entzündungen eine natürliche Reaktion des Immunsystems, um Probleme zu lösen – jede Wunde durchläuft beispielsweise eine Entzündungsphase, damit sie heilen kann. Problematisch sind jedoch chronische, niedriggradige Entzündungen, die lange unbemerkt bleiben, aber dennoch Gelenkstrukturen wie Knorpel, Kapseln und Bänder angreifen können. Hier gibt es zwei übergeordnete Faktoren – das ständige aktive Immunsystem kann Bindegewebe abbauen, um daraus für sich Energie zu produzieren und die aktiven Immunzellen bauen grob gesagt Gewebe ab, da dies im akuten Fall Ihre Aufgabe ist.“
Warum wird die Ernährung oft unterschätzt, obwohl sie für unsere Beweglichkeit so wichtig ist?
„Eine mangelhaft zusammengesetzte Ernährung führt nicht sofort zu Beschwerden, weshalb viele Menschen keinen direkten Zusammenhang erkennen. Sie denken: “Ich habe mich doch schon immer so ernährt und hatte keine Gelenkprobleme.” Doch hier gilt: Der stete Tropfen höhlt den Stein. Zudem suchen Menschen oft nach einer klaren Ursache für Beschwerden – die Ernährung als langfristiger Einflussfaktor bleibt dabei häufig unberücksichtigt. Ein weiterer Punkt ist, dass die Vorstellung einer mechanischen Abnutzung des Gelenks für viele intuitiv verständlicher ist als der Einfluss von Entzündungen oder Mikronährstoffen.“
Wie zeigt sich eine ungünstige Ernährung konkret in unseren Knochen und Gelenken?
„Die zugrundeliegende Problematik sind Entzündungen. Wissenschaftlich gilt Arthrose heute nicht mehr als reine Abnutzungserkrankung, sondern als entzündliche Erkrankung. Chronische Entzündungen führen zu einem schrittweisen Abbau der extrazellulären Matrix, stören die Zellregeneration und schädigen damit Gelenkknorpel sowie den darunterliegenden Knochen.“
„Knorpel kann regenerieren – unter den richtigen Bedingungen.“
Tobias Homburg
Physiotherapeut
Ihr aktueller Ratgeber ist in aller Munde. Warum können wir Knorpel – entgegen der gängigen Meinung – doch regenerieren, und wie geht das?
„Lange Zeit galt die Entzündung als Folge der Arthrose – heute wissen wir, dass sie deren Ursache ist. Dieser Paradigmenwechsel hat große Auswirkungen auf die Forschung und Therapieansätze. Neueste Erkenntnisse aus der Zellbiologie, Epigenetik und molekularen Medizin zeigen vielversprechende Wege zur Knorpelregeneration. Der Schlüssel liegt darin, ein entzündungsfreies Milieu zu schaffen, da in einem entzündlichen Umfeld keine Regeneration stattfinden kann. Unsere Strategie kombiniert entzündungshemmende Ernährung, intermittierendes Fasten, Bewegung und gezielte Nährstoffe.
Dadurch erzielen wir eine:
Hemmung von Entzündungswegen (NF-kB)
Reduktion von oxidativem Stress
Förderung der Kollagensynthese (Typ-II-Kollagen)
Unterstützung des Knorpelzellwachstums/-regeneration (Chondrozytenproliferation)
Polarisierung der Makrophagen (regulieren Entzündungen) von M1 (entzündungsfördernd) zu M2 (entzündungshemmend)
Zusammengefasst bedeutet das: Wenn wir die Entzündungen regulieren, können wir auch die Regeneration des Knorpels aktiv unterstützen.“
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Mikronährstoffen und der Prävention von Überlastungs- oder Sportverletzungen?
„Ja, es gibt immer wieder Studien, die darauf hinweisen. Auch wenn die wissenschaftliche Datenlage noch nicht umfassend ist, liegt es auf der Hand, dass Mikronährstoffe an nahezu allen Stoffwechselprozessen beteiligt sind. Ein Mangel kann daher zu Störungen und einer schlechteren Belastbarkeit des Gewebes führen.“
Welche Mikronährstoffe für Gelenke und Knochen besonders entscheidend sind
Vitamin D, Vitamin K und Mangan tragen zur Erhaltung normaler Knochen bei.
Vitamin C unterstützt die Kollagenbildung und damit die normale Knorpelfunktion.
Magnesium ist essentiell für die Muskelfunktion.
Kupfer hilft, das Bindegewebe gesund zu erhalten.
Calcium wird für den Erhalt stabiler Knochen benötigt.
Wie wichtig sind Mikronährstoffe für die Regeneration?
„Auch bei der Regeneration spielen Mikronährstoffe eine zentrale Rolle. Nach einer Belastung müssen beschädigte Strukturen repariert und idealerweise sogar verbessert werden. Hier einige Beispiele:
Vitamin C ist essenziell für die Kollagenbildung im Bindegewebe.
Vitamin D unterstützt die Muskelfunktion.
Antioxidantien wie Vitamin E schützen vor oxidativem Stress nach intensiven Belastungen.
Zink unterstützt die Zellteilung und damit die Neubildung von Muskelgewebe.“
Benötigen Mikronährstoffe andere Mikronährstoffe, um richtig zu wirken?
„Ja, viele Mikronährstoffe wirken synergistisch und unterstützen sich gegenseitig. Ein Beispiel ist die Verbindung zwischen Vitamin D und Calcium: Vitamin D verbessert die Aufnahme von Calcium im Darm, wodurch dieses dem Knochen besser zur Verfügung steht. Vitamin K wiederum hilft, das Calcium gezielt in die Knochen einzubauen. Darüber hinaus gibt es vermutlich viele weitere Synergien innerhalb natürlicher Lebensmittel, die noch nicht vollständig erforscht sind.“
Was raten Sie in Sachen Bewegung? Welchen einfachen Trainingsplan, den jeder leicht umsetzen kann, empfehlen Sie unseren Leserinnen und Lesern?
„Die Bewegungsziele sind individuell, aber grundsätzlich gilt: Unser Körper braucht tägliche Bewegung und liebt Vielfalt. Besonders wichtig ist der Erhalt bzw. Aufbau von Muskulatur, da diese im Alter als präventiver Schutzfaktor wirkt. Einfache Übungen für zu Hause – ganz ohne Geräte – sind:
Kniebeugen
Liegestütze (anfangs gegen eine Wand oder Fensterbank, später auf dem Boden)
Ausfallschritte (die Tiefe bestimmt die Schwierigkeit)
Gesäßbrücke
Trizeps Dips (z. B. an der Bettkante)“
Gibt es ein Alter, ab dem man aktiv etwas für seine Beweglichkeit tun sollte?
„Nein, es gibt keine Altersgrenze. Es ist immer sinnvoll, aktiv zu werden – sei es zur Prävention oder um bestehende Einschränkungen zu verbessern. Wer bereits eine Verschlechterung der Beweglichkeit bemerkt, sollte sich frühzeitig fachkundig beraten lassen, um die Ursache gezielt anzugehen.“
Vielen Dank für das Gespräch!
Fazit: Die Ernährung spielt eine entscheidende Rolle
Mit der richtigen Ernährung und gezielten Übungen können Sie Ihre Gelenke, Muskeln und Knochen langfristig schützen und Schmerzen vorbeugen. Kleine Veränderungen im Alltag machen den Unterschied – von mehr Bewegung bis hin zu der richtigen Nährstoffzufuhr.