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Interview
12.11.20255 Min. Lesedauer

Maria Loos im Interview

„Zucker ist nicht das größte Übel – in diesen Mengen jedoch erschreckend.“

Ein einfaches Mittel, gesünder zu leben, ist es, seinen Zuckerkonsum zu minimieren. Aber warum fällt es uns so schwer, weniger Zucker zu essen? Unser Verlangen danach ist oft so groß, dass man kaum widerstehen kann. Insbesondere wenn die Lebensmittelindustrie alle Tricks nutzt, um ihn uns immer wieder unterzujubeln, ohne dass wir es merken. Wie kann man also sein süßes Verlangen stillen und dennoch weniger Zucker konsumieren? Unsere Expertin verrät, wie der Einstieg in einen zuckerärmeren Alltag gelingt!

 
 
Maria_Loos
 

Maria Loos

Die Ernährungs- und Sportwissenschaftlerin erklärt auf anschauliche Weise, wie man mit bewusster Ernährung und alltagstauglicher Bewegung fit bleibt.

 
 

Ist Zucker wirklich so schlecht wie jeder behauptet?

„Nein, Zucker ist per se nicht schlecht. In gewissem Maße braucht unser Körper Zucker (Glukose). Als Energieträger und bevorzugte Energiequelle des Gehirns spielt er für unseren Energiehaushalt eine wichtige Rolle. Doch es kommt immer auf die Menge (und den Zeitpunkt) des Zuckerkonsums an.

Oft starten wir mit einem süßen Frühstück in Tag, gefolgt von Kaffee mit (Milch-)Zucker, ein Dessert am Mittag, ein Keks am Nachmittag und Schokolade am Abend. Rechnet man dann noch den versteckten Zucker als unseren verarbeiteten Lebensmitteln hinzu, übersteigt man schnell die empfohlene Zuckerzufuhr um ein Vielfaches. Zucker ist nicht das größte Übel – in diesen Mengen jedoch erschreckend.“

 

Eine süße Sucht?

Rund 33 kg isst jeder von uns durchschnittlich im Jahr. Das sind rund 90 Gramm pro Tag. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollten es jedoch keinesfalls mehr als 25 Gramm Zucker sein.

 

Wieso haben so viele das Verlangen nach (so viel) Zucker?

„Biologisch gesehen aktiviert Zucker das Belohnungssystem im Gehirn und sorgt für eine schnelle Dopamin-Ausschüttung – ähnlich wie bei Suchtstoffen. Denn evolutionsbedingt bevorzugt unser Körper energiereiche Nahrung, die früher überlebenswichtig war. Zudem sind viele Menschen an einen hohen Zuckerkonsum gewöhnt, weil er von klein auf in vielen Lebensmitteln steckt. Stress, Müdigkeit oder emotionale Faktoren verstärken das Verlangen, da Zucker kurzfristig Energie liefert und beruhigend wirken kann. Gleichzeitig verändern stark gesüßte Lebensmittel den Geschmackssinn, sodass weniger süße Alternativen weniger attraktiv erscheinen.“

 

Einige behaupten, wer zu viel Zucker isst, ist einfach willensschwach. Wie sehen Sie das?

„Ein hoher Zuckerkonsum ist keine reine Willensfrage. Der Verzehr von zuckerreichen Nahrungsmitteln ist mit neuronalen Funktionen im Hirn verknüpft. Zudem spielen Stress, Gewohnheiten und versteckter Zucker in Lebensmitteln eine Rolle. Es braucht statt bloßer Disziplin vor allem Bewusstsein, Strategien und eine gesündere Umgebung.“

 

Der Begriff Zuckersucht ist in aller Munde, aber gibt es wirklich Studien, die belegen, dass Zucker Suchtpotential besitzt?

„Es gibt einige Studien zu der Frage, ob Zucker süchtig macht. Die Forschung ist hier allerdings nicht einhellig. Studien zeigen, dass Zuckerkonsum suchttypische Muster, wie Heißhunger, Kontrollverlust und Entzugserscheinungen fördern kann. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und tief in uns Menschen verankert. Beispielsweise ist die Vorliebe für Süßes schon angeboren und wir verbinden es mit Genuss, Freude und schlichtweg einem guten Gefühl, das wir immer wieder haben möchten. Doch eine klinische Diagnose „Zuckersucht“ existiert nicht.“

 

Je weniger Zucker, desto jünger bleiben wir.

Jedes Gramm zählt: Täglich bereits zehn Gramm weniger Zucker drehen einer Studie1 nach die biologische Uhr um 2,4 Monate zurück, wenn man dies über einen längeren Zeitraum beibehält.

 

Welche Auswirkungen hat unser Zuckerverlangen auf unsere tägliche Lebensmittelwahl?

„Unser Verlangen nach Zucker beeinflusst die tägliche Lebensmittelwahl stark. Viele greifen unbewusst zu stark verarbeiteten Produkten mit verstecktem Zucker – von Frühstückscerealien über Joghurts bis hin zu Fertiggerichten. Süße Snacks und Softdrinks werden oft bevorzugt, da sie kurzfristig Energie liefern und das Belohnungssystem aktivieren.

Gleichzeitig kann ein hoher Zuckerkonsum den Geschmackssinn verändern: Natürliche Lebensmittel wie Obst oder Gemüse schmecken weniger intensiv, während stark gesüßte Produkte als „normal“ empfunden werden. Dadurch fällt es schwer, gesündere Alternativen zu wählen, und der Kreislauf des hohen Zuckerkonsums setzt sich fort.“

 

Wie kommt man raus aus diesem „Zucker-Teufelskreis“? Wie gelingt der Einstieg in einen zuckerärmeren Alltag?

„Dies gelingt am besten schrittweise. Zunächst hilft es, sich bewusst zu machen, wo überall versteckter Zucker enthalten ist, und Lebensmittel dementsprechend gezielter auszuwählen. Statt Zucker radikal zu streichen, sollte man ihn nach und nach reduzieren, um den Geschmackssinn umzugewöhnen. Natürliche Alternativen wie Obst, Nüsse oder Zimt können helfen, das Verlangen nach Süßem zu stillen. Außerdem ist es wichtig, regelmäßige Mahlzeiten mit ausreichend Proteinen und Ballaststoffen zu essen, um Heißhungerattacken vorzubeugen. Viel Wasser oder ungesüßter Tee kann ebenfalls helfen, da Durst oft mit Hunger verwechselt wird. Wer Süßes in kleinen Mengen bewusst genießt, statt unkontrolliert zu naschen, erleichtert sich den Umstieg in einen zuckerärmeren Alltag.“

 

Eine der großen Herausforderungen: Zuckerarm einkaufen – haben Sie Tipps?

„Zuckerarm einkaufen beginnt mit bewusstem Lesen der Zutatenlisten, denn Zucker versteckt sich oft unter Namen wie Glukosesirup, Maltodextrin oder Fruchtzucker. Am besten greift man zu unverarbeiteten Lebensmitteln wie frischem Obst, Gemüse, Nüssen und Vollkornprodukten. Wer dennoch zu Fertigprodukten greift, sollte sich für Varianten ohne zugesetzten Zucker entscheiden – besonders bei Joghurts, Müslis oder Saucen. Auch selbst kochen hilft, den Zuckergehalt zu kontrollieren. Nicht neu, aber dennoch wirkungsvoll: Nicht hungrig einkaufen gehen, denn dann landet oft mehr Süßes im Einkaufswagen als geplant.“

 
 

Klassische Zuckerfallen in zuckerarm.

Selbst kochen und backen ist ein Schlüssel, um weniger verarbeitete Lebensmittel mit viel zugesetztem Zucker zu essen. Wie einfach Sie Schokoaufstrich, Granola, Ketchup und Co. mit weniger Zucker, aber dennoch 100 Prozent Genuss, zubereiten können, erfahren Sie in unserer Rezepte-PDF. Hier finden Sie viele leckere Rezeptideen, wie Sie die süßen Klassiker mit weniger Zucker zubereiten.

Zuckerarme-Klassiker
 
 
 
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    Chiu DT, et al., Essential Nutrients, Added Sugar Intake, and Epigenetic Age in Midlife Black and White Women: NIMHD Social Epigenomics Program. JAMA Netw Open. 2024;7(7)